...bald ist Weihnachten", ist man geneigt zu seufzen. Das mit Weihnachten stimmt natürlich auch, aber wir haben hier zudem schon die 6. und damit vorletzte Runde des Troisdorf Opens zu besprechen. Bekanntermaßen sollte es dort zum Showdown zwischen Harald und Martin kommen. Wie ernst Martin dabei trotz des deutlichen DWZ-Unterschieds sein Gegenüber nahm, kann man daraus ermessen, daß er tief in die Trickkiste psychologischer Kriegsführung griff und Harald damit tatsächlich eine unliebsame Überraschung bereiten konnte.

Martin erklärte hierzu: "Heutzutage findet ein größer werdender Teil eines Spiels bereits vorab zuhause statt. Mit den Engines ist Vorbereitung deutlich einfacher und wichtiger geworden, was man gut finden kann oder auch nicht - aber es gehört schlicht mittlerweile zum Turnierschach dazu. Spielt man dann noch gegen jemanden, den man sehr gut kennt – insbesondere Vereinskollegen – kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Mindgames. Schach mag ein analytisches Spiel mit objektiv besten Lösungen/Zügen sein und doch sollte man den psychologischen Aspekt nicht außer Acht lassen. Übertragen auf mein Spiel gegen Harald: Wir kennen die Spielweise des jeweils anderen sehr gut und haben noch dazu ein ähnliches Eröffnungsrepertoire. Stellt sich also die Frage, ob man sich darauf einläßt und seinen üblichen Kram abspult oder extra was Unübliches aufs Brett bringt."

Martin entschied sich für letzteres und beantwortete Haralds Königsbauernzug mit d6 statt des bei ihm sonst üblichen e6, was gänzlich andere Pläne für das Spiel beider Seiten beinhaltet. Entsprechend spielten sie Pirc statt den zwischen beiden bereits etwas ausgetretenen französischen Pfaden zu folgen. Mit Haralds 8. Zug verließen sie die Masters Database und waren fortan mal mehr, mal weniger auf sich alleine gestellt. Einen Zug später traf Harald die nächste richtungsweisende Entscheidung, sich durch kurze Rochade einem offenen Schlagabtausch an beiden Flügeln zu entziehen. Bemerkenswert war, daß beide bis zu Haralds 16. Zug
noch keinen einzigen Stein getauscht hatten. Für den neutralen Beobachter hatte das Spiel bis dahin die Anmutung zweier Boxer, die einander - gelegentlich einen halbherzigen Jab schlagend - umkreisen. Auf eine Lücke in der Deckung des Kontrahenten lauernd.

Dann faßte sich Harald ein Herz und führte eine Stellungsöffnung im Zentrum herbei, gefolgt von der beiderseitigen physischen Eliminierung des kompletten Damenflügels. Sein Zeitverbrauch war von Anfang an mehr als deutlich größer als der des bekennenden Schnellspielers Martin, welcher sein Gegenüber zudem durch die Eröffnungswahl ja etwas auf Glatteis geführt hatte, was sich wohl zusätzlich negativ auf Haralds Zeitmanagement niedergeschlagen haben sollte. Demzufolge mußte Harald dafür sorgen, daß endlich Züge auf das Partieformular kommen und bis zur Zeitkontrolle möglichst viele einfache Entscheidungen anstehen würden.

Zunächst dachte sich Martin: "Mist, das wird wieder ganz schwierig, sich einen Vorteil herauszuarbeiten, wenn Harald hier alle Klötzchen vom Brett abräumt." Erst auf den zweiten Blick erkannte er eigener Schilderung zufolge das Potential für seine Stellung. Nicht nur würde sein eingesperrter Läufer zu neuem Leben erwachen, sondern er würde Harald im weiteren Verlauf auch noch durch eine Springergabel dazu zwingen können, das Läuferpaar abzugeben.

Daß Harald wenig später ausgerechnet durch Martins Lieblingszug die Partie endgültig wegstellen würde, tat dem Ehrenvorsitzenden des f4-Fanclubs natürlich tief in der Seele weh. Martin drang mit dem Turm auf der zweiten Reihe ein und schickte sich an, den weißen König niederzustrecken. Harald versuchte noch, sich durch einen taktischen Trick einigermaßen heil aus der Bredouille herauszumogeln, doch Martins Dame entzog sich durch ein filigranes Zwischenschach dem Angriff des Springer, während sein Turm weiterhin Haralds Dame im Visier behielt. In dem Bewußtsein, dass sein Opponent es mit Mehrdame schon irgendwie hinbekommen würde, dies zu gewinnen, gab Harald auf.

Lukas bekam es mit einem Gegner zu tun, der nominell gesehen sein bislang schwierigster werden sollte. Jedoch hatten wir bereits mitbekommen, daß selbigem altersbedingt offenbar das Kämpferherz ein wenig abhanden gekommen war und er sich gegen junge, aufstrebende Spieler einem "Angsthasen-Remis" nicht abgeneigt erwiesen hatte. Es kam die Jugoslawische Variante der Königsindischen Verteidigung aufs Brett und Weiß bestimmte lange optisch das Geschehen, zumal Lukas ganz frech den angebotenen Bauern auf a2 mit der Dame tatsächlich abgeholt hatte.

In der Folge spielte Weiß aktive Züge, welche einzügig schwarze Steine (bevorzugt dabei: Lukas' Dame) angriffen, Lukas brachte selbige mit dem nächsten Zug natürlich in Sicherheit und verpaßte dem weißen Angriffsstein im Anschluß postwendend einen Tritt, sodaß dieser wieder zurückweichen mußte. Dieses Muster wiederholte sich mehrmals und Lukas konnte seine Stellung dabei Schritt für Schritt verbessern, hier und da durch einen Abtausch vereinfachen und last but not least auch noch den weißen b-Bauern "für umme" einsammeln. Mit verbundenen schwarzen Frei- und Mehrbauern auf der a- und b-Linie gab Weiß auf, als Lukas selbigen auch noch den Marschbefehl erteilte. Das wollte sich sein Gegner offenbar nicht mehr antun (lassen). Mit Weiß souverän von Schwarz überspielt zu werden, obwohl dieser über 350 DWZ-Punkte schlechter eingestuft ist, war Demütigung genug. Vielleicht wird sie im Nachgang erträglicher, wenn er der tatsächlichen aktuellen Spielstärke von Lukas bei der DWZ-Auswertung des Turniers gewahr wird.

Suad bekam mit den schwarzen Steinen das Blackmar-Diemer-Gambit vorgesetzt und ging darauf ein (bedauerlicherweise auch im übertragenen Sinne). Laut Masters Database gab es nach 5. Sxf3 nur 23% Weiß-, aber 45% Schwarzsiege (bei 32% Remisen). Dafür muß man jedoch aktives Gegenspiel suchen, um die Sinnhaftigkeit des Bauernopfers des Kontrahenten zu widerlegen. Suad hingegen versuchte, Ruhe in die Partie zu bekommen, was leider voll nach hinten losging. Erst wurde sein weißfeldriger Läufer über mehrere Züge lang herumgescheucht, während sich Suads Gegner auf dessen Kosten entwickelte, nur um am Ende doch abgetauscht zu werden und dabei auch noch die schwarze Bauernstellung zu ramponieren.

Als nächstes öffnete Suads Gegenspieler Linien im Zentrum, wo sich noch immer der schwarze König aufhielt. Selbiger wurde das nächste Opfer ständiger weißer Attacken, mußte die Idee, noch zur Rochade kommen zu können, alsbald beerdigen und sich zu Fuß in Richtung Damenflügel begeben - in der (vergeblichen) Hoffnung, dort Schutz zu finden. Wenige Züge, bevor er - aufs freie Feld zurück gezwungen - final zur Strecke gebracht worden wäre, hatte Suad Mitleid mit seinem gestreßten, von der kräftezehrenden Flucht ausgelaugten Monarchen und gab auf. Schade, daß Suad dabei dermaßen "unter die Räder gekommen" ist, aber eine schönere Rechtfertigung für ein dann und wann eingestreutes, etwas halbseidenes Gambit sieht man selten.

Silas dagegen fuhr einen letztlich ungefährdeten Schwarzsieg ein. Mit Caro-Kann eröffnend, in dem er sich bekanntermaßen ziemlich zuhause fühlt, mußte Silas einfach nur "normale" aktive Züge machen. Erst gewann er auf dem Damenflügel ein Bäuerchen, später auch noch eines auf dem Königsflügel. Zwischendrin vereinfachte er, wann immer dies der Gegner zuließ, konsequent durch Figurentausch. Im Turmendspiel mit 2 zu 1 Bauern auf dem Damen- sowie 3 zu 2 Bauern auf dem Königsflügel angekommen (jeweils zugunsten von Silas), gab sein Gegenüber auf. Er hätte sich zwar noch eine Weile "kneten" lassen können, würde aber realistischerweise nie auch nur ansatzweise Licht gesehen haben, sofern Silas nicht aus purer Flüchtigkeit ein Blunder, wie es heutzutage gerne genannt wird, unterlaufen wäre. Dieses flackernde Licht der letzten Hoffnung hatte Silas bei seinem Kontrahenten durch sein konsequentes Spiel offenkundig erfolgreich vorzeitig zu ersticken vermocht.

Wie üblich geht der Chronist zum Schluß noch auf seine eigene Partie ein. Das Schweizer System bringt es nun einmal mit sich, daß man, da idealtypischerweise von Runde zu Runde die Farbe der Steine gewechselt wird, mit einer davon eher gegen leichtere und mit der anderen eher gegen im Turnierverlauf erfolgreichere Kontrahenten gelost wird. Um das Ergebnis zu spoilern - auch meine dritte Schwarzpartie ging verloren. Hätte aber nicht so kommen müssen. Mein Gegner setzte auf das Londoner System und ich erwiderte mit einem Doppelfianchetto entlang der Modernen Verteidigung. Ich vermochte zunächst, meinem jungen Gegner nach und nach die Initiative abzuringen und in der Folge Raumvorteil am Königsflügel zu realisieren.

Da er das Zentrum selbst geschlossen hatte, bemühte sich mein Kontrahent um Gegenspiel am Damenflügel. Wie bei mir leider nicht unüblich geriet ich zunehmend in Zeitprobleme. Dadurch in meinen Möglichkeiten eingeschränkt, noch längerfristige strategische Pläne zu durchdenken, verpaßte ich die beiden sich kurz hintereinander ergebenden Gelegenheiten, nach vorübergehender Abwehr des weißen Angriffs am Damenflügel durch Ausnutzung der schwachen Grundreihe meines Gegenspielers wieder das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen. Stattdessen ließ ich mich weiter in die Verteidigung drängen, probierte unter Materialopfer noch halbseidenes Gegenspiel zu kreieren und wurde währenddessen mit weniger als einer Minute auf der Uhr (gespielt wird ohne Inkrement!) zwei Züge vor Erreichen der Zeitkontrolle mattgesetzt.

Wohlan denn! Halali und auf zur letzten Runde!


Frank Feig