... dachte sich Martin, als sich just in dem Moment, da er nur wenige Züge vor dem Matt aufgab, mit Lukas, Silas, Suad und mir fast die gesamte am Troisdorf Open teilnehmende Truppe unseres Vereins um sein Brett versammelte, um nach Beendigung der eigenen Partien zu schauen, wie sich unser "Leitwolf" denn so schlug.
Erstmalig im Turnierverlauf gegen einen nominell stärkeren Gegner gelost (so viele stehen da ja nicht zur Auswahl), hatte sich Martin natürlich auf diesen vorbereitet. Wobei seine Vorbereitung im Grunde ganz schnell wieder abgeschlossen war, sobald er erkannte, daß sein Kontrahent ihm wohl den Trompowsky-Angriff ermöglichen würde. Den kennt Martin zur Genüge, selbiger hat jedoch zugleich den Nachteil, daß er quasi immer erst am Brett erfährt, wie der jeweilige Gegner darauf zu reagieren gedenkt. Da diese Eröffnung nicht gerade Mainstream ist, wurde jeder von Martins Gegnern in aller Regel nie oder zumindest kaum in Partiensammlungen aktenkundig damit konfrontiert.
Martins Gegenspieler zeigte sich sowohl während der Partie als auch in der anschließenden Analyse überrascht von Martins scheinbar passiver Spielweise und manch einem der schachlichen Intuition zuwiderlaufendem Zug, was jedoch samt und sonders Theorie ist. Bis einschließlich zum 21. Zug war die Stellung stets mehr oder minder ausgeglichen, dann beging Martin den spielentscheidenden Fehler. Im Bestreben, den Bauernvorstoß im Zentrum zu unterbinden, ermöglichte er diesen gerade erst. Sein Fehler dämmerte ihm sofort, als sein Gegner tatsächlich d5 zog, aber es gab leider kein Entrinnen mehr.
Im Versuch, seinem Gegner die Verwertung wenigstens so schwer wie möglich zu machen, trat Martin mit seinem König im späteren Verlauf die Flucht nach vorne an, auf daß er nicht auf ähnliche Art mattgesetzt werden würde, wie er es in der Woche zuvor noch mit Lukas gemacht hatte. Leider fand sein Gegenüber auch eine andere wunderschöne Mattkombination weiter vorne am Brettrand. Eine Leistung, der Martin als fairer Sportsmann dann auch den gebührenden Respekt zollte. Auf das Spontanpublikum hätte er trotzdem vermutlich ganz gerne verzichtet.
Harald bekam es in der 5. Runde mit einem ehemaligen Mitglied meiner Mannschaft zu tun, als ich vor meiner knapp drei Jahrzehnte währenden Schachpause noch in einem Bonner Verein mit Ferdi zusammen spielte. Er wurde von Harald denn auch als emsiger und somit sehr erfahrener Turnierspieler eingeordnet, weshalb Harald trotz seiner etwas höheren DWZ durchaus mit Respekt ans Brett gegangen ist. Auch befürchtete Harald, sein Kontrahent könnte sich anhand früherer Partien beim Troisdorf Open gezielt auf ihn vorbereitet haben (was ich, hätte er mich danach gefragt, für unwahrscheinlich gehalten hätte - und ich hätte damit richtig gelegen).
Unser "Finanzminister" hatte Schwarz und konnte sich kaum sinnvoll vorbereiten, da sein Widersacher mit Weiß je nach Laune wechselnde Eröffnungen spielt. Er hat sich in seinen Jahrzehnten als LKW-Fahrer eben in jeder Lenkpause in Schachbücher vergraben. Harald entschied sich aufgrund seiner Recherchen und Überlegungen ergo dafür, Ferdi sein Caro-Kann-Debüt in einer Turnierpartie vorzusetzen. Trotz naturgemäß noch überschaubarer Kenntnisse der Eröffnungstheorie kam Harald gut aus der Eröffnung, stand ab Zug 10 besser und gewann im 14. Zug einen Bauern, sodaß sein Gegner schon relativ früh um Ausgleich kämpfen mußte.
Nach einigen Ungenauigkeiten beiderseits hatte er den Ausgleich spätestens mit dem 32. Zug erreicht, nur um dann mit 2 Fehlern im 33. und 34. Zug die Partie komplett aus der Hand zu geben. Wenn man sieht, wie lange er hart um den Ausgleich gekämpft hatte, hat sich Caissa hier schon etwas hartherzig gezeigt, wie Harald es hinterher poetisch formulierte. Sobald Ferdi in Zeitnot (oder anderweitig unter Druck) gerät, mutiert er offenbar auch nach so langer Zeit noch immer wie früher zum Hasardeur und wirft gute Partien weg. Vier Züge später hatte Harald "skrupellos" (Haralds eigene Wortwahl!) den vollen Punkt unter Dach und Fach gebracht.
Lukas hatte in Vorbereitung auf seinen Gegner festgestellt, daß dieser als Nachziehender mit der selten gewordenen Aljechin-Verteidigung startet und zusammen mit Martin ein paar Überraschungen ausbaldowert. Sie kamen auch prompt in die angestrebte Nebenvariante, waren aber auch zügig wieder aus der Vorbereitung raus, da Lukas' Gegner sich in diesen Abspielen offenbar wenig auskannte und im 5. Zug bereits die Lichess Masters Database verließ. Sich vorab mit den entstehenden Stellungsbildern auseinandergesetzt zu haben, sollte sich dennoch nicht als vergebliche Mühe für Lukas erweisen.
Nach Lukas' Einschätzung nahm sein Gegenüber ihn offenbar ob seiner Jugend und der (deutlich veralteten) niedrigen DWZ zudem nicht ganz für voll. Während Lukas stellenweise Varianten über ein Dutzend Züge weit vorausberechnete, bevor er sich für oder gegen einen Kandidatenzug entschied, antwortete sein Gegner teilweise schon nach ein, zwei Minuten. Ein verhängnisvoller Fehler, wie er zunehmend erkennen mußte. Erst vermochte er lange nicht, Lukas' imposantes Bauernzentrum zu unterminieren (was schließlich das Kernthema der Aljechin-Verteidigung darstellt), dann wurde er von Lukas dank Raumvorteil und aktiverem Figurenspiel nach und nach an die Wand gespielt und verlor in letzter Konsequenz Material und kurz darauf die Partie. Souveräner Weißsieg!
Suad bekam, ebenfalls die weißen Steine führend, die Sizilianische Verteidigung, genauer einen "Beschleunigten Drachen" vorgesetzt. Im 15. Zug machte der Schwarzspieler unerwartet eine Kombination möglich, durch welche Suad vermittels eines Zwischenschachs eine Leichtfigur für einen Bauern bekam - er nahm das Geschenk dankend an. Sein Gegner bemühte sich nun vehement um Gegenspiel und es gelang ihm, nicht zuletzt infolge Suads Schwäche auf der Grundreihe, Suads "Steine" in immer unkomfortablere Positionen zu nötigen. Am Ende geriet Suads Springer in eine Fesselung und Suad war seinen Vorteil wieder quitt bzw. lag sogar einen Bauern hinten (es war jedoch ein Doppelbauer). Suads Gegner wickelte dann nicht wirklich nachvollziehbarerweise durch Abtausch in ein reines Bauernendspiel ab, das dann plötzlich wieder für Suad gewonnen war. Das vermochte unser "Küken" beim Troisdorf Open dann letztendlich ohne gröbere technische Fehler sauber zuende zu bringen und ebenfalls einen Sieg einzufahren.
Silas hatte sich vorgenommen, in den letzten drei Runden - beginnend mit dieser - das Feld endlich von hinten aufzurollen. Der nicht wesentlich schlechter als Silas eingestufte Gegner (Setzlistenplatz 46 gegenüber 36 für Silas) hatte in der ersten Runde gegen Martin verloren, in der zweiten - deutlich überraschender - ebenfalls das Nachsehen gehabt und sodann zweimal kampflos verloren. Es gab ergo keinen Grund, daß Silas seinen Kontrahenten unterschätzen hätte sollen. Prompt unterlief Silas, als er mit Weiß im Mittelspiel das Heft des Handelns in die Hand nehmen wollte, der erste Lapsus des Spiels. Anstatt sich mittels einer mehrzügigen Kombination Materialvorteil zu sichern, begnügte sich Silas' Gegenüber jedoch glücklicherweise mit einer bloßen Figurentauschaktion.
Silas zentralere Figurenpositionierung und sein aktiveres Spiel führten im weiteren Verlauf dazu, daß sich sein Kontrahent mit einem Doppelfehler in Zug 20 und 21 positionell schwächte, sowie Silas - dies ausnutzend - materiellen Vorteil erlangen und gleichzeitig substantiell vereinfachen konnte. Letztendlich machte Silas durch eine schöne Kombination unter kräftiger Mitwirkung des solchermaßen entstandenen und sodann bis zur 7. Reihe vorgestoßenen d-Freibauern den Ambitionen seines Gegners den Garaus. Dieser wollte sich die Verwertung des ausreichenden Materialvorteils im Endspiel dann nicht mehr von Silas zeigen lassen und hißte die weiße Fahne. Silas angekündigter Endspurt hat also schon mal erfolgversprechend begonnen.
Bleibt noch, über meine eigene Partie zu berichten. Ich bekam es just mit jenem Spieler zu tun, welcher in der Runde zuvor Silas mit seinem aggressiven Königsüberfall-Schachstil erst überrumpelt und dann regelrecht überfahren hatte. Entsprechend besonnen ging ich - die weißen Steine führend - ergo zu Werke. Wir hatten bald ein Königsfianchetto mit dem ECO-Code A00 auf dem Brett, in welchem diverse seltene Aufbauten zusammengefaßt werden, die keine eigene Nummerierung abbekommen haben. Während ich mit einer Art Königsindisch-Aufbau mit Weiß lauerte, kam mein Kontrahent auch prompt wie erwartet mit seiner Streitmacht alsbald ein wenig überhastet am Königsflügel angerannt.
Beherzt opferte er seinen Springer, um die h-Linie auf meine Rochadefestung aufzureißen, und genauso kaltblütig verstopfte ich selbige postwendend mit dem eigenen Pferdchen - bereit, dieses umgehend zurückzugeben, auf daß mein Gegenüber seinen Angriff durch eigene, d.h. schwarze Bauern möglichst bald wieder ziemlich blockiere, während ich dann perspektivisch im Zentrum Gegenspiel gegen seinen unrochierten Monarchen zu inszenieren gedachte. Er war wie schon gegen Silas deutlich verspätet in Troisdorf eingetroffen und zog daraufhin, um Zeit gutzumachen, überaus fix. Insgesamt würde er für seine gesamte Partie 19 Minuten verbraucht haben, dieweil ich derer 42 investierte.
Da verwundert es wenig, daß er im 12 Zug fehlgriff und mir im Bestreben, seinen aktiven schwarzfeldrigen Läufer zu behalten, ermöglichte, meinen für seinen Springer hergegebenen Bauern zurückzugewinnen und ihn von g5 aus dauerhaft an der angestrebten heterogenen Rochade zu hindern. Ich öffnete sodann im Zentrum und blies zur Jagd auf seinen noch immer dort weilenden Monarchen. Dame und Läuferpaar erledigten die Aufgabe zügig und einen Zug vor dem unausweichlichen Matt gab mein Gegner durchfrustriert auf. Daß ich mal in einer Turnierpartie eine 23-Züge-Miniatur auf das Brett zaubere, an deren Ende nicht ICH der unterlegene Part sein würde, hat mehr als nur Seltenheitswert.
Mit einer bedauerlichen Ausnahme haben in Runde 5 folglich alle Hennefer Teilnehmer zufrieden mit einem vollen Punkt im Gepäck die Heimreise antreten können. Martin, Harald und Lukas stehen nun bei 3 Punkten aus 5 Runden, Suad und ich zählen derer 2,5 und Silas hat auch endlich seinen ersten Punkt auf der Habenseite. In Runde 6 wird es leider zum nächsten vereinsinternen Showdown kommen, denn an Brett 9 wird dann Martin mit Schwarz von Harald mit Weiß herausgefordert werden. Ich sehe schon förmlich das Elmsfeuer über den Figurenspitzen flackern.
Frank Feig